brexit Zusammenfassung

Die möglichen Folgen des Brexit

Am Donnerstag stimmen die Briten über den Verbleib Großbritanniens in der EU ab. Doch welche Folgen hätte ein „Brexit“ für die EU und das Königreich?

David Cameron, der Ministerpräsident des Vereinigten Königreichs, hat für kommenden Donnerstag, den 23. Juni 2016, ein von ihm bei seiner Wiederwahl versprochenes Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union angesetzt. Während sich die Befürworter eines sogenannten Brexit mehr Souveränität für ihr Land versprechen, warnen die Gegner eines EU-Austritts vor desaströsen Folgen – sowohl für Großbritannien, als auch für die EU. Doch welche wirtschaftlichen und politischen Folgen könnte ein Brexit wirklich haben?

Verschiedene Ausstiegsszenarien

Die wirtschaftlichen Folgen eines EU-Ausstiegs sind schwer vorherzusagen. Diesbezüglich gibt es verschiedene Szenarien. Bei einem „sanften Ausstieg“ würden sich zwar bestimmte Gesetze oder Standards der beiden Handelspartner unterscheiden, da Großbritannien in diesem Belangnis dann nicht mehr an die EU gebunden ist, jedoch könnte man über Handelsverträge möglichen Hindernissen beim Handel vorbeugen. Einen ähnlichen Status haben bereits Norwegen und die Schweiz. Jedoch benötigt das Abschließen dieser Handelsverträge auch einige Zeit. Des Weiteren ist es fragwürdig, ob eine neue europakritische Regierung dazu bereit wäre, sich nach einem Ausstieg Großbritanniens der EU direkt wieder anzunähern. Im ungünstigsten Fall könnte jedoch auch das Szenario einer vollständigen Isolation Großbritanniens und der Verlust aller wirtschaftlichen Privilegien des Königreichs eintreten.

Auch wenn die wirtschaftlichen Folgen bei ersterem Szenario nur abgeschwächt eintreten würden, so hätte der Brexit dennoch schwerwiegende Konsequenzen für Großbritannien. Eine im Jahre 2015 von der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegebene Studie des ifo Instituts in München geht von einer Reduzierung des BIP je Einwohner um bis zu 3 Prozent aus. Sicher lässt sich jedoch nur sagen, dass die Export- und Importkosten steigen und somit die britische Wirtschaft belasten würden. Im Falle eines raschen Abschlusses von Handelsverträgen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich ist zwar auch ein Wachstum der britischen Wirtschaft möglich, jedoch nur auf langfristige Sicht.

Unabhängig von Brüssel

Vielen Brexit-Befürwortern sind Beitragszahlungen des Vereinigten Königreichs an die EU ein Dorn im Auge. Immerhin machten diese Zahlungen 2013 mit 8,64 Milliarden Euro rund 0,5% des britischen BIP aus. Da der wirtschaftliche Schaden aber viel größer ist, lässt sich dieser auch nicht mit dem Wegfall dieser Zahlungen kompensieren.

Ein großes Augenmerk richtet sich auch auf den Finanzplatz London, dessen Finanzwirtschaft immerhin 8% der Gesamtwirtschaft des Landes ausmacht und Arbeitgeber für Hunderttausende Menschen ist. Befürworter der freien Marktwirtschaft in ihrer Reinform könnten Gefallen am Wegfall der lästigen EU-Vorschriften finden und auf einen freieren und effektiveren Handel hoffen. Andererseits haben viele Banken, vor allem US-amerikanische, ihren europäischen Hauptsitz in London. Aus Angst vor zu großen Differenzen mit der EU, könnten diese ihre Wirkungsstätten auf das europäische Festland verlegen. Dafür spricht auch eine Umfrage, in der rund ein Drittel der in Großbritannien tätigen Finanzunternehmen aus Deutschland und dem Vereinigten Königreich angaben, ihre dortigen Geschäfte im Falle eines Brexits reduzieren zu wollen. Im Gegenzug könnten andere Finanzplätze in Europa, wie zum Beispiel Frankfurt am Main, von einer verstärkten Konzentration der Finanzwirtschaft auf Kontinentaleuropa profitieren.

Wichtiger Handelspartner für EU und Deutschland

Nicht nur die Frankfurter Börse könnte in Deutschland von einem Brexit profitieren. Auch die deutsche Chemie-Industrie, der drittgrößte deutsche Wirtschaftszweig, erhofft sich durch eine Schwächung der starken chemischen Industrie in Großbritannien einen höheren Marktanteil und bessere Wettbewerbsbedingungen in der EU. Leider sind das nur Tropfen auf dem heißen Stein. Schließlich verliert die EU mit dem Vereinigten Königreich ihre zweitgrößte Volkswirtschaft und Deutschlands drittwichtigsten Handelspartner. Deutsche Unternehmen setzen in Großbritannien jährlich 90 Milliarden Euro um. Laut dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag hängen hierzulande bis zu 750.000 Jobs davon ab. Des Weiteren stellt das Vereinigte Königreich mit 200.000 Beschäftigten bei britischen Firmen den größten Direktinvestor in Deutschland. Der Handel mit Großbritannien könnte durch Handelszölle und Einfuhrbeschränkungen deutlich einbrechen. Auch wenn dieser extreme Fall nicht eintritt, entstehen durch unterschiedliche Standards in den beiden Ländern Handelshemmnisse. Das gilt natürlich auch für alle anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Im Falle einer totalen Isolation des Vereinigten Königreichs könnte Russland zu einem wirtschaftlichen Notfallanker für Deutschland werden.

Mögliche Kettenreaktion

Der Brexit könnte möglicherweise noch größere Dimensionen als „nur“ den Austritt des Vereinigten Königreichs annehmen. So befürchtet der Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen, der Brexit könnte „Zentrifugalkräfte“ auslösen und weitere, vor allem osteuropäische, Mitgliedsstaaten zu einem Austritt aus der EU animieren. Dies wird durch die zurzeit in Europa erstarkenden, meist euroskeptischen Rechten Kräfte unterstützt. Doch auch für das Vereinigte Königreiche könnte der Brexit eine Gefahr darstellen. So haben schottische Politiker bereits angekündigt, im Falle eines EU-Austritts ein erneutes Referendum über die Abspaltung Schottlands halten zu wollen. Da sich viele Schotten mit der EU sympathisieren, wäre eine tatsächliche Abspaltung bei einem weiteren Referendum gar nicht mal so unwahrscheinlich. Das könnte dann eine Kettenreaktion hervorrufen, bei der sich auch Wales oder Nordirland um einen Austritt aus dem Königreich bemühen könnten, da dort viele mit der Unabhängigkeit von London liebäugeln.

Katastrophe für Umwelt und Landwirtschaft

Der Wirtschaftszweig, der unter einem EU-Austritt wohl am meisten leiden würde, ist die Land- und Agrarwirtschaft. Schließlich stützt sich bis zu 50 Prozent des Einkommens der britischen Landwirte und Bauern auf EU-Subventionen. Bei einem Wegfall dieser Subventionen müssten zahlreiche kleinere Höfe ihren Betrieb einstellen und nur die größten, effizientesten Produktionsstätten könnten überleben. Dies würde zu einer verstärkten Ausbreitung von Massentierhaltung und Großgrundbesitz von Landwirtschaftsflächen führen.

Vor seinem EU-Beitritt 1973 trug das Vereinigte Königreich den Spitznamen „The Dirty Man of Europe“, da das Land in den Siebziger-Jahren mit verschmutzten Gewässern, stark nitrathaltigen Böden und extrem ausgeprägten saurem Regen durch die bodenlosen Emissionswerte der Schwerindustrie zu den schwersten Umweltsündern zählte. Erst durch Verordnungen und extremen Druck durch die EU ließ sich die britische Regierung zur Umsetzung von Umweltschutzmaßnahmen bewegen, setzte diese jedoch nur mit Widerwillen und teilweise erst Jahrzehnte später um. Laut Umweltschutzorganisationen entstanden bis zu 80 Prozent der Umweltschutzgesetze im Vereinigten Königreich unter Federführung der EU. Eben jene Organisationen befürchten nach einem EU-Austritt einen Rückfall in diese alten Zeiten. So könnte die britische Regierung gewillt sein, Baugenehmigungen in Naturschutzgebieten oder die Zulassung von umweltschädlichen Pestiziden und Chemikalien zuzulassen, nicht zuletzt um damit einem starken Einbruch der Wirtschaft Einhalt zu gebieten. Auch die Fracking-Industrie erhofft sich eine Lockerung der Bestimmungen, zum Beispiel beim Wasserschutz. Die Einstellung britischer Politiker zu Umweltschutzbestimmungen lässt sich bereits jetzt an Aussagen wie der des derzeitigen Schatzministers George Osborne erkennen: „Die Rettung des Planeten wird das Land noch in den Ruin stürzen.“ Auch der Landwirtschaftsministers George Eustice hält vom Umweltschutz nicht viel, da er der Meinung ist, dass dieser den „Geist des Unternehmerturms erstickt“ und die britischen Vogel- und Naturschutzgesetze nach einem EU-Austritt lockern will.

Der Brexit schwächt die EU

Da Großbritannien auf dem internationalen Parkett einen großen Einfluss hat, würde ein Brexit auch maßgebliche Folgen für die EU-Außenpolitik haben. Mit Großbritannien würde die Europäische Union ein Mitglied des UN-Sicherheitsrats und damit auch an Einfluss verlieren. Frankreich wäre dort dann das einzige dauerhafte Mitglied und auch die einzige Atommacht in der Europäsichen Union. Auf Verhandlungsbasis mit anderen Weltmächten wie Russland, den USA oder China wäre die EU möglicherweise nicht mehr auf einer Augenhöhe. Innenpoltisch birgt der Brexit weitere Probleme und könnte die EU weiter spalten. Bei der hohen Anzahl an Mitgliedern gibt es natürlich viele verschiedene Meinungen und Interessen. Die drei größten Staaten Großbritannien, Frankreich und Deutschland übernehmen daher innerhalb der Europäsichen Union eine Führungsrolle und versuchen den politischen Prozess in der Union voranzutreiben. Auch wenn es zwischen Großbritannien und den traditionell eng verbundenen Staaten Frankreich und Deutschland politisch oft Differenzen gibt und das Vereinigte Königreich in der EU Sonderrechte genießt, haben diese Staaten zumindest außen- und wirtschaftspolitisch oft ähnliche Interessen.

Doch auch das Vereinigte Königreich müsste sich außenpolitisch umorientieren. Sie setzen dabei auf eine Intensivierung der ohnehin starken Beziehungen zu den USA. In alten Erinnerungen schwelgend sehen viele in der Wiederbelebung des Commonwealth of Nations, einem Überbleibsel des British Empire, eine Chance. Indien als aufstrebendes Schwellenland eben jenen Bundes spielt dabei eine wichtige Rolle.
In der Zeit des internationalen Terrorismus könnte der Brexit jedoch auch die Terrorgefahr in Europa weiter verschärfen. Der britische Geheimdienst spielt bei der Abwehr solcher Gräueltaten eine wichtige Rolle. Doch durch einen EU-Austritt könnte die ohnehin schon schlechte Zusammenarbeit europäischer Geheimdienste weiter zurückgefahren werden.

Verteidigungspolitisch würde ein Brexit hingegen wohl keine großen Veränderungen nach sich ziehen. Schließlich lehnt Großbritannien eine militärische Zusammenarbeit auf EU-Ebene wie die meisten anderen Mitgliedsstaaten sowieso ab. Des Weiteren sind mittlerweile die meisten EU-Mitglieder auch Mitglieder des transatlantischen Verteidigungsbündnisses NATO durch dessen Ost-Erweiterung.

Folgen für Tourismus nicht absehbar

Auch in der Tourismus-Branche könnte der Brexit für größere Veränderungen sorgen. Konkrete Zahlen bezüglich der Zahl an Touristen oder der Umsatzentwicklung der Tourismus-Branche lassen sich nicht aufstellen. Die Brexit-Gegner befürchten jedoch einen Einbruch der Tourismusbranche und sinkende Urlauberzahlen durch Preissteigerungen aufgrund von Währungsschwankungen. Schließlich liegt der Anteil der EU-Bürger unter den Touristen in Großbritannien bei rund 75 Prozent. Die Brexit-Befürworter hingegen setzen auf eine Steigerung der Inlandsreisen. Die Preisentwicklung in der Tourismus-Branche hängt stark von der Währungsentwicklung nach einem möglichen EU-Austritt ab. Doch selbst wenn die Preise steigen, ist es gut möglich das britische Touristen lieber auf Überseereisen sparen als ihren Urlaub auf der Insel zu verbringen. In diesem Fall stünde die britische Tourismusbranche tatsächlich vor einem großen Problem. Des Weiteren arbeiten in dieser Branche zahlreiche EU-Bürger, deren Verbleib im Vereinigten Königreich nach einem Brexit unsicher wäre.

Über Andreas Dost

Andreas ist Redakteur und Korrektor bei E4SY. Er ist derzeit 17 Jahre alt und Schüler. Seine Hobbys sind Mountainbiking, Bergsport, Gaming und Fremdsprachen.

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