Potsdam (dts Nachrichtenagentur) – Der Militärhistoriker Bastian Matteo Scianna von der Universität Potsdam warnt davor, die russische Androhung atomarer Militärschläge im Ukraine-Krieg zu unterschätzen. Zwar zeige die Teilmobilmachung, „dass Präsident Putin zunächst konventionelle Mittel einsetzen möchte, um die militärische Situation zu seinen Gunsten zu verbessern und seine völkerrechtswidrigen Eroberungen politisch abzusichern“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Donnerstagausgabe). „Dennoch sollte man bei einem operativen Vorstoß der Ukraine einen russischen Einsatz taktischer Kernwaffen nie als komplett unrealistisch abtun, zumal es Teil der russischen Nukleardoktrin ist, eigenes Gebiet immer auch mit Kernwaffen zu verteidigen.“
Die aktuell getroffenen Maßnahmen zeigten, dass Putin „nicht nur tatenlos zuschauen wird“, wenn die durch die „kriminellen Raubzüge“ erzielten territorialen Hinzugewinne bedroht seien. Mit den Referenden in den russisch besetzten Gebieten wolle Moskau das „Narrativ stärken, der Westen bedrohe russische Gebiete, und man beschütze die lokale Bevölkerung und sichere die territoriale Integrität“ des Landes, sagte Scianni der NOZ: „Eine weitere Offensive der Ukrainer würde somit `russisches Territorium` treffen, was etwaige Gegenmaßnahmen für Putin einfacher und populärer machen soll“. Der russische Präsident sei auch „politisch in der Defensive“. Offen ist nach Ansicht des Militärhistorikers, welchen Wert die Teilmobilisierung tatsächlich für den weiteren Kriegsverlauf hat. Scianni sagte der NOZ: „Mit der Heranziehung weiterer Reserven werden vermutlich zunächst die vielfach ausgezehrten Verbände an der Kontaktlinie aufgefüllt oder ersetzt, um diesen eine Pause zuzugestehen. Es ist aber fragwürdig, welchen militärischen Wert die Reservisten haben: Können sie entsprechend ausgerüstet und versorgt werden, und mit wie viel Begeisterung werden sie ihrer Aufgabe entgegensehen?“ Die westlichen Alliierten sollten angesichts der jüngsten Entwicklung „nicht in Panik verfallen“. Sie zeige, „dass man durch militärische Erfolge, die auch auf westlichen Waffenlieferungen beruhen, Putin in politische Schwierigkeiten bringen kann“.
Foto: Mauer des Kreml in Moskau, über dts Nachrichtenagentur